Das Instituto de Artivismo Hannah Arendt entstand aus einer Kunstaktion in Havanna. Im Mai 2015 veranstaltete die Künstlerin und Aktivistin Tania Bruguera eine kollektive Lesung aus Arendts Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft (1951). 100 Stunden lang lasen und diskutierten die Teilnehmer*innen Arendts wegweisende Studie über totalitäre Systeme, die in Kuba bis heute von größter Bedeutung ist.
Diese Aktion bildete den Höhepunkt der Kampagne #YoTambiénExijo, die Bruguera mit einer Gruppe kubanischer Bürger*innen in den Jahren 2014/15 initiierte. Sie forderten vom kubanischen Regime Auskunft über den Inhalt der Gespräche zur Wiederaufnahme bilateraler Beziehungen zwischen Kuba und den USA. Innerhalb weniger Tage setzten mehr als 20.000 Menschen über die sozialen Netzwerke eine beispiellose Bürgerkampagne in Gang. In diesem Moment wurde der Kultursektor zu einem Akteur des gesellschaftspolitischen Wandels in Kuba.
INSTAR ist ein Akronym, aber auch ein Verb, das „ermutigen“, „anstiften“ oder „aufstacheln“ bedeutet. Die Gruppe arbeitet an der Schnittstelle von künstlerischer Praxis und Aktivismus. Ihr größtes Anliegen ist die Förderung staatsbürgerlicher Bildung und sozialer Gerechtigkeit. Durch kollektive Arbeit entsteht ein institutionelles Modell zum Kampf für Meinungsfreiheit, Einhaltung der Menschenrechte, gerechte Löhne und Arbeitszeiten, bessere Arbeitsbedingungen für Alleinerziehende und gegen Diskriminierung.
Für die documenta fifteen präsentiert INSTAR eine Gegenerzählung zur kubanischen Kulturgeschichte, die zwischen Havanna und Kassel installiert ist. Ein historisches utopisches Modell kollektiver Selbstverwaltung dient als Inspiration: INSTARs Projekt geht von Leben und Arbeit des russischen konstruktivistischen Dichters, Journalisten und Dramatikers Sergej Tretjakow aus, der die Ansicht vertrat, dass Künstler*innen die Realität nicht nur abbilden, sondern auch gestalten sollten. Zwei Jahre lang lebte Tretjakow in einer sowjetischen Kolchose im nördlichen Kaukasus. Dort übernahm er Verwaltungsaufgaben, gab eine Zeitung heraus und arbeitete mit den Bäuer*innen in den Bereichen Inventarisierung, Alphabetisierung und Buchhaltung. Für die Kolchose entwickelte er außerdem ein Informationsmedium: eine Wandzeitung, die der Gemeinschaft half, ihre zahlreichen Aktivitäten zu koordinieren und zu visualisieren. Dies bezeichnete er als „operative Faktografie“.
INSTARs Operational Factography (2022) schafft die ermöglicht eine Verschränkung und Koexistenz von Projekten und Ideen zur Wiederaneignung eines historischen Gedächtnisses und dessen Dynamisierung in der Gegenwart. Das Projekt verbindet Kunst, Wirtschaft, Bildung und politisches Engagement. Es findet an zwei Orten statt: in der INSTAR-Zentrale in Havanna und in der documenta Halle. Durch zehn Ausstellungen, die alle zehn Tage wechseln, entsteht ein lebendiges Archiv der Aktivitäten und Ziele INSTARs. Jede Ausstellung zeigt ein spezifisches Projekt oder eine spezifische Praxis in Kuba, das der kubanischen Regierung zensierten Künstler*innen und Intellektuellen Gehör verschafft.
Eingeladene Akteur*innen
Tania Bruguera
Carlos Cárdenas Cárdenas
Chris
Aminta D’Cardenas
Gretell Domenech
Solveig Front
Anaeli Ibarra
Hamlet Lavastida Lavastida
Camila Lobon
Leila Montero
Claudia Patricia Olivera
Leonardo Otaño
Ulises Padrón
Juliana Rabelo
Marta Maria Ramirez