Saodat Ismailova ist eine Filmemacherin und Künstlerin, die in der postsowjetischen Ära großgeworden ist und sich ein Künstler*innenleben zwischen Paris und Taschkent aufgebaut hat, dabei aber ihrer Heimatregion als einer Quelle kreativer Inspiration tief verbunden bleibt.
Nach ihrem Abschluss am Staatlichen Kunstinstitut von Taschkent erhielt sie ein Arbeitsstipendium am Fabrica, dem Forschungs- und Kommunikationszentrum von Benetton in Italien. Dort führte sie Regie bei dem Film Aral: Fishing in an Invisible Sea, der auf dem Torino Film Festival 2004 als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde. 2005 erhielt sie ein DAAD-Stipendium in Berlin, wo sie ihren ersten preisgekrönten Spielfilm 40 Days of Silence entwickelte, der 2014 im Forum der Berlinale gezeigt wurde. An der Biennale di Venezia 2013 nahm sie im Pavillon von Zentralasien mit ihrer Videoinstallation Zukhra teil. 2017 war Ismailova Artist in Residence am OCA – Office for Contemporary Art, Norwegen, wo sie ihren Kurzfilm The Haunted entwickelte, der im gleichen Jahr im Tromsø Kunstforening, Norwegen, präsentiert wurde.
2018 machte sie ihren Abschluss am französischen Kunstinstitut Le Fresnoy – Studio national des arts contemporains, wo sie Stains of Oxus und Two Horizons entwickelte. Im gleichen Jahr wurde ihre Multimedia-Performance Qyrq Qyz in der BAM – Brooklyn Academy of Music in New York und im Musée du quai Branly in Paris gezeigt.
2021 gründete sie die Forschungsgruppe Davra in Taschkent, die sich der Untersuchung, Dokumentation und Verbreitung zentralasiatischer Kultur und zentralasiatischen Wissens widmet. Im gleichen Jahr präsentierte sie die Einzelausstellungen What was my name? in der Aspan Gallery, Almaty, und kuratierte das Forschungsprogramm des CCA Lab im Center for Contemporary Art in Tashkent, wo im Vorjahr bereits ihre Einzelausstellung Q’org’on Chirog‘ gezeigt wurde. Ab April 2022 sind ihre Arbeiten auf der von Cecilia Alemani kuratierten Ausstellung der Biennale di Venezia The Milk of Dreams zu sehen. Werke Saodat Ismailovas befinden sich in der Sammlung des Stedelijk Museum Amsterdam sowie in der Sammlung des Centre Pompidou in Paris.
Ismailovas Beitrag zur documenta fifteen kreist um die Vorstellung der Chilltan. In zentralasiatischen Kulturen sind Chilltan Gestaltwandler. Sie können die Form junger oder älterer Frauen, von Tieren wie Schlangen, Vögeln oder Tigern, von belebten oder unbelebten Teilen der Natur und sogar von Naturphänomenen wie Wind oder Wolken annehmen. Das Wort chilltan stammt aus dem Persischen und bedeutet „40 Körper“ oder „40 Wesen“, die keinem bestimmten Geschlecht angehören. Ismailova erforschte das Motiv der Zahl 40 bereits seit ihrem Debütfilm 40 Days of Silence (2014).
Chilltan ist auch der Titel des labyrinthischen Werks von Ismailova, das sich während der documenta fifteen durch eine Reihe miteinander verbundener Räume im Untergeschoss des Fridericianums zieht. Die Künstlerin kombiniert damit Film, Performance und Environment. In einen angrenzenden Raum lud Ismailova 18 Künstler*innen aus Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan ein, die zusammen unter dem Namen DAVRA firmieren. Musik, Tonplastik und Film spielen in ihren Arbeiten eine Rolle. Die Besucher*innen sind eingeladen, sich durch die Arrangements traditioneller Materialien und historischer Berichte zu bewegen: Seidentücher, handgefertigte usbekische Matratzen und Texte schamanischer Bitten. Auch hier wiederholt sich das Motiv der Zahl 40: Über 40 Tage hinweg organisieren die Künstler*innen von DAVRA öffentliche Veranstaltungen im Rahmen des lumbung-Programms.
Eingeladene Akteur*innen
Aïda Adilbek
Benazir Ibraimova
Dana Iskakova
Munis Jurayeva
Tokzhan Karatai
Nazira Karimi
Daria Kim
Jazgul Madazimova
Zumrad Mirzalieva
Tillaniso Nuregdi
Daria Nurtaza
Intizor Otaniyozova
Aziza Pulatova
Diana Rakhmanova
Dilda Ramazan
Mukhiddin Risqiyev
Odina Risqiyeva
Diana U
Madina Zholdybekova