Subversive Film präsentiert ein Programm mit 20 Filmen, die seit vier Jahrzehnten in Tokio von einem „Solidaritätsnetzwerk“ aufbewahrt wurden, sowie einen Film über das Archiv in Tokio.
Als Beirut 1982 von der israelischen Armee besetzt wurde, ging auch das Umfeld für die blühende künstlerische Praxis palästinensischer revolutionärer Bestrebungen verloren. Ein bis dahin stets wachsendes Archiv des internationalistischen „militanten Kinos“ seit 1968 wurde beschlagnahmt und später in einem geheimen Lagerhaus des Militärs sich selbst überlassen. Das Kollektiv Subversive Film, das zum Thema Kino forscht und produziert, sucht nach Wegen, dieses verlorene Archiv revolutionärer Bilder, die aus dem Blickfeld entfernt wurden, aufzuspüren und wieder an einen Verleih zu bringen.
Reem Shilleh und Mohanad Yaqubi vom Kollektiv sind immer unterwegs zwischen dem palästinensischen Ramallah und Brüssel in Belgien, sie bauen die gleichermaßen bedrängten transnationalen Beziehungen zwischen unterschiedlichen Befreiungsbewegungen durch eine Institutionalisierung der Archivierungsarbeit wieder neu auf. Ob sie kämpferische Bilder oder Texte in ihrer ursprünglichen Form herausbringen oder Filmreihen kuratieren – Subversive Film gibt nicht nur ausgegrabenem Archivmaterial den Raum, wieder selbst zu wirken, sondern fördert die Verbreitung und Reflexion des damals beschlagnahmten Materials und seiner unbewältigten Narrative, Ästhetiken und politischen Ansichten.
Nach einem Treffen mit dem japanischen Agit-Prop-Experimentalfilmer und einstigem Mitglied der 1988 aufgelösten Japanischen Roten Armee, Masao Adachi in Tokio, übernahm Subversive Film von einer japanischen Gruppe eine Sammlung von 16-mm-Filmen und U-matic Videokassetten. Hinzu kamen Dutzende von Filmplakaten und eine sich über eine ganze Zimmerwand erstreckende Bibliothek. Das Material war zwischen 1967 und 1982 schubweise von Beirut aus nach Japan geschickt worden und der Öffentlichkeit kaum bekannt.
Für die documenta fifteen hat Subversive Film aus diesem Konvolut ein Filmprogramm rund um die Vorführung eines kürzlich restaurierten Films kuratiert, der die oft vergessenen und (bis heute) nicht belegten „antiimperialistischen Solidaritätsbeziehungen“ zwischen Japan und Palästina thematisiert. Das Kernstück der Präsentation von Subversive Film auf der documenta fifteen ist eine spekulative Dokumentation: ein Gemeinschaftswerk britischer, italienischer, deutscher, palästinensischer, ägyptischer, irakischer und japanischer Filmemacher*innen. Die Montage umgibt die Aura des Unfertigen; das spiegelt die Wandlungen in der politischen Haltung, denen die internationalistische Bewegung, während der langen 1960er-Jahre unterworfen war.
In Kassel entfalten sich diese Beziehungen zwischen Tokio, Palästina und der Welt in einem nomadischen Filmprogramm um verschiedene Fragmente des restaurierten Films herum; es wird durch ein Symposium ergänzt. Es ist eine Einladung, über die Verfahren des Zusammensetzens nachzudenken: über Formen der Assemblage, der Neu-Assemblage und der Montage eines restaurierten Films. Subversive Film schlägt vor, Möglichkeiten zu debattieren, wie das unvollständige Archiv des transnationalen „militanten Kinos“ ausgegraben, restauriert und zeitweilig veröffentlicht werden könnte. Indem es die bewegten Bilder wieder in Umlauf bringt, reaktiviert Subversive Film mit Bedacht heutige Solidaritäts-Konstellationen und reflektiert die Utopie einer weltweiten Befreiungsbewegung.
Eingeladene Akteur*innen
Aoe Tanami
Fadi Abu Nemeh
Masao Adachi
Mustafa Abu Ali
Casey Asprooth Jackson
Elettra Bisogno
Don Catchlove
Jim Cranmer
Doha Film Institute
Gent and GEM Kab Concordia
Victor Haddad
Bilal Hibri
Riuychi Hirokawa
Samir R. Hissen
Tom Hollyman
Iwanami Productions
KASK School of the Arts
Hatsuyo Kato
Kristine Khouri
Kitchen BXL
Jack Madvo
T. Maki
Monica Maurer
Mineo Mitsui
Rami Nihawi
Samir Nimr
Sami Salamoni
Rasha Salti
Ghaleb Shaath
Ismail Shammout
Baker Sharqawi
Sharjah Art Foundation
SHIRAK
Khaled Siddik
Wakamatsu Productions
Sabih Al Zoohiri