Harvest

Erstes lumbung assembly

lumbung assembly, 1. Tag, 20. Oktober 2020

Ehe wir uns versahen, war es Oktober. Im Rahmen der Vorbereitungen auf die documenta fifteen kamen alle lumbung member zu einem viertägigen virtuellen Treffen zusammen, um sich vorzustellen, ihre Geschichten und Ideen zu teilen und auf die kommenden beiden Jahre – oder mehr – vorauszublicken. Viele gut gelaunte Gesichter waren auf den Bildschirmen zu sehen.

„Willkommen! Könnt ihr die Folien sehen?“

In einem der Quadrate erschien ein Paar, dessen Haare im Wind wehten, als wären sie an einem Strand. Tayeba und Mahbubur stellten uns den Britto Arts Trust aus Dhaka, Bangladesch vor. Das 2002 gegründete Kollektiv arbeitet in mehreren Ländern mit Workshops, Residenzen, Gemeinschaftsprojekten, Ausstellungen, Forschung und Archivarbeit.

Sechstausend Kilometer weiter hörten wir vom Wajukuu Art Project, einem Künstler*innenkollektiv, das mit den Bewohner*innen eines Slums in Nairobi arbeitet. Mithilfe von Kunst will Wajukuu die Slumbewohner*innen erreichen und einen Lernprozess anstoßen. „Wir haben auch eine Bibliothek aufgebaut, mussten sie aber schließen, da uns geeignete Räumen fehlten. In der Zukunft wollen wir Land außerhalb Nairobis erwerben und dort Landwirtschaft betreiben“, berichtete Ngugi von Wajukuu.

Als nächstes bekamen wir eine Gruppe junger Menschen zu sehen, die in der Ecke eines Raumes zusammensaßen – die Jatiwangi art Factory (JaF) aus der indonesischen Provinz Westjava. Einige von ihnen spielten Musik – einen Song über die Mangosaison – um das Eis zu brechen. Nach einer Runde tosendem Applaus stellten sie ihre Pläne für die kommenden zwei Jahre vor. „Gemeinsam mit lumbung wollen wir ein neues Modell für zukünftige Kollaborationen entwickeln. Wir träumen von gemeinschaftlich bewirtschaftetem Land, kollektiv betriebenen Fabriken und einem bulog (Speicher) – wie lumbung, nur institutioneller“, erzählten sie.

Von Jatiwangi ging es weiter nach Deutschland, zu einem Gespräch mit dem ZK/U – Zentrum für Kunst und Urbanistik aus Berlin. Matze, eines der Mitglieder des Z/KU, sprach über die Zukunftspläne des Zentrums. „Wir wollen unsere Praxis in Kassel fortsetzen und herausfinden, wie wir gemeinsam weiter wachsen können. Dabei wollen wir das Thema Nachhaltigkeit stärker in den Fokus rücken, auch über die 100 Tage der documenta hinaus. Das ZK/U sucht nach Wegen, Netzwerke und Ressourcen jenseits monetärer Logik zu teilen. Wie können wir zusammen leben und arbeiten, ohne ständig produktiv sein zu müssen? Wir denken an guten Schlaf, gemeinsames Abhängen und daran, verschiedene Wirtschaftssysteme in das lumbung-System zu integrieren.“

lumbung Assembly, 2. Tag, 21. Oktober 2020

Am zweiten Tag des Treffens war die Stimmung unverändert gut. Auf den Bildschirmen fröhliche Gesichter aus aller Welt. „Wir haben einen Vorschlag – eine Zoom-Performance,“ rief Yazan von Question of Funding (QoF) aus Palästina. „Wir singen ein Lied und ihr singt uns einfach nach. Los geht’s!“ Alle genossen diese Art, das Eis zu brechen. QoF arbeiten seit mehreren Jahren zu Fragen finanzieller Förderung. „Wir wollen ein Fördersystem aufbauen, das es uns erlaubt, Dinge anders zu machen, als internationale Hilfsorganisation es von uns verlangen. Internationale Geldgeber*innen disempowern uns und üben einen negativen Einfluss auf unsere Anstrengungen aus“, sagte Fayrouz von QoF. „Wir wollen daher dauerhaft genügend Einnahmen generieren, um nicht mehr auf Spenden angewiesen zu sein. Dazu wollen wir ein sinnvolles System der Geldzirkulation im Kulturbereich etablieren.“

Weiter ging die virtuelle Reise nach Dänemark, zum Trampoline House, einer von Künstler*innen und Asylsuchenden selbstverwalteten Institution in Kopenhagen. Sie erzählten von der aktuellen Situation Asylsuchender in Dänemark. „Für Migrant*innen wird Europa zu einem immer gefährlicheren Ort. Wir haben eine große Zahl von Asylsuchenden, die vor Krieg, politischen Konflikten und ähnlichem aus ihren Heimatländern fliehen mussten. Hier jedoch dürfen sie weder arbeiten noch an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen.“ Durch Kunstprojekte möchte das 2009 von Kunststudent*innen und Künstler*innen gegründete Trampoline House ihnen mehr Teilhabe ermöglichen. „Wir bieten Ausbildungsprogramme, Beratung, Kreativ-Workshops und Kunstausstellungen an. Bei unseren monatlichen Treffen sprechen wir außerdem über die Probleme, mit denen Geflüchtete und Migrant*innen konfrontiert sind.“ Langfristiges Ziel ist es, ein alternatives Asylsystem zu schaffen.

Die nächste Reise führte uns nach Kolumbien zu Más Arte Más Acción (MAMA), einer Non-Profit-Kulturstiftung, die durch Kunst kritisches Denken anstoßen möchte. „In der heutigen Welt sind wir alle auf unseren Status als Individuen zurückgeworfen. Um zu einer Bewegung zu werden, müssen wir daher kreativ und gesellschaftlich organisiert sein, wir müssen zusammenkommen und gemeinsam arbeiten. Die Frage ist, wie nutzen wir unsere Ressourcen, wie gehen wir in Zukunft mit ihnen um? Die Umwelt und der Klimawandel waren schon immer ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Umso glücklicher waren wir, als Arts Collaboratory uns 2015 die Möglichkeit gab, dieses Projekt zu Nachhaltigkeit und integriertem Arbeiten in unseren lokalen Zusammenhängen anzustoßen. Im Moment bauen wir eine Art Gedächtnis unserer bisherigen Arbeit auf, um unseren pädagogischen Prozess teilen und in vielen verschiedenen Sprachen zugänglich machen zu können. Auf diese Weise wollen wir eine Verbindung zwischen unserem Kampf und jenen anderer herstellen.“

lumbung Assembly, 3. Tag, 22. Oktober 2020

„Seid ihr bereit?“ Ein Songtext erschien auf dem Bildschirm, Musik dröhnte aus den Lautsprechern und alle sangen I Will Survive von Gloria Gaynor. So begann unser drittes Treffen am 22. Oktober. Die von den drei Kollektiven ruangrupa, Serrum und Grafis Huru Hara gegründete Bildungsplattform Gudskul aus Jakarta machte den Anfang. Jedes der drei Kollektive beschäftigt sich bereits seit den frühen 2000er-Jahren mit gemeinschaftlicher Kunstproduktion. 2005 schlossen sie sich zusammen, um das Gudang Sarinah Ekosistem ins Leben zu rufen. Gudskul möchte eine von Kollektiven organisierte koperasi (indonesisch für Genossenschaft) aufbauen, um die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Relevanz kollektiver kreativer Arbeit deutlich zu machen.

Mit ein wenig Tanz und Lachen führte uns das Lied nach Spanien, zu Fernando und seinen Freunden von INLAND, die in Landwirtschaftsbetrieben und Molkereien arbeiten. „Unser Plan ist es, selbstverwaltete Infrastrukturen aufzubauen, die kollektive Projekte tragen können“, erzählte Fernando. Darüber hinaus entwickelt INLAND nomadische Infrastrukturen, die Stadt und Land miteinander verbinden. „Dazu wollen wir auch einen neuen Lehrplan für unsere INLAND Academy entwerfen, die Schäfer*innen und junge Führungskräfte für unsere nomadische Bewegung ausbildet.“

In Budapest trafen wir Mitglieder der OFF-Biennale Budapest, einer neugegründeten Kunstausstellung, deren dritte Ausgabe aufgrund der Corona-Pandemie auf das kommende Frühjahr verschoben werden musste. Als kuratorisches Kollektiv beschäftigt sich OFF mit Kunstvermittlung und ländlichem Wissen und rief ROMAMoMA ins Leben, ein Kunstprojekt, das mittels eines transnationalen Museums Rom*nja, Ungarns größter ethnischer Minderheit, zu mehr Sichtbarkeit verhelfen möchte. Für die documenta fifteen konzentriert OFF sich auf Kunstausbildung. dabei versuchen sie, lumbung mit kalaka zu verbinden, ihrem eigenen Konzept, das ebenfalls auf kollektiver Verwaltung basiert. „Kalaka ist bisher vor allem in Zentralosteuropa bekannt und dreht sich um freiwillige, kollektive Arbeit“, erklärte Nikolett Eross vom kuratorischen Team der OFF-Biennale Budapest.

lumbung Assembly, 4. Tag, 27. Oktober 2020

Fünf Tage später setzten wir unser Treffen fort. „Wir freuen uns, hier zu sein, und möchten unsere Geschichte mit euch teilen“, verkündeten Fondation Festival sur le Niger (FFSLN) aus Segou in Mali. Das jährlich stattfindende Festival, das Menschen aus über 30 Ländern zusammenbringt, hat sich in den vergangenen sechzehn Jahren zu einer treibenden wirtschaftlichen Kraft der Kulturszene Segous entwickelt. „Das Festival ist sehr wichtig für unsere örtlichen Partner*innen und die Öffentlichkeit. Es basiert auf menschlichen Werten und gegenseitigem Respekt“, sagte Attaher Maiga, der das Kollektiv vertrat. Seit 2012 leidet Mali unter politischen, wirtschaftlichen und Sicherheitsproblemen. „Das treibt uns dazu an, dieses Event weiterhin zu organisieren. Wir wollen Maaya teilen, unser Wertesystem, bei dem es um Menschen geht, um Ressourcenteilung und Solidarität. Für die documenta möchten wir Maaya und lumbung zusammenbringen.“

Danach übernahm Ayşe Güleç vom Artistic Team, um uns mehr über die Geschichte Kassels und die Orte der documenta fifteen zu erzählen. „Die Geschichte Kassels ist sehr vielfältig – dies Menschen näherzubringen, ohne Stadtmarketing zu betreiben, ist manchmal schwierig. Wir haben uns jedenfalls entschlossen, mit der documenta fifteen in allen Teilen Kassels vertreten zu sein.“

Zum Abschluss ging es um einen der Veranstaltungsorte der documenta fifteen, das ruruHaus. Das vierstöckige Gebäude wurde in den 1950er-Jahren erbaut und Anfang des Jahres von der documenta fifteen angemietet. Es soll unter anderem ein Büro, den rurushop, Ticketshop, eine Buchhandlung und eine Bar beherbergen.

„Wir haben von Anfang an versucht, diesen Ort zu aktivieren“, berichtete Reza Afisina, eines der Mitglieder von ruangrupa. Gemeinsam mit Studierenden der Universität Kassel wurde das Projekt „Kunst und Stadtentwicklung“ initiiert. Wie eine Kompilation von Geschichte zeichnet das Projekt die Entwicklung Kassels seit der ersten documenta nach. „Dabei geht es nicht nur um Zusammenarbeit, nicht nur darum, Musik, ein Festival oder andere Produktionen nach Kassel zu bringen. Uns ist es wichtig, auf bestehenden Praxen in Kassel aufzubauen“, erklärte Reza. Außerdem denkt das ruruHaus über Möglichkeiten nach, die Idee einer Sharing Economy in Form eines kooperativen Systems in der Nachbarschaft zu verankern, insbesondere in Hinblick auf Stadtentwicklung und die Nutzung öffentlichen Raums. Dabei wollen sie auch mit anderen lumbung member zusammenarbeiten. „Wir bemühen uns, Vertrauen und Freundschaften aufzubauen. Wir wollen nicht einfach nur ein Projekt verwirklichen, sondern machen uns auch Gedanken darüber, es nachhaltig zu gestalten“, so Reza.

Wie heißt es so schön? Die Zeit vergeht am schnellsten, wenn man Spaß hat. Vier Tage lang führten wir lohnende Gespräche zu kollektivem Arbeiten und schmiedeten Pläne für die weitere Vorbereitung der documenta fifteen.

– Harvest von Putra Hidayatullah

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