23.6.2022

Weitere Maßnahmen durch die Geschäfts­führung der documenta gGmbH initiiert

ruangrupa, das Künstlerischen Team und die Künstler*innen hatten der documenta zugesichert, dass es auf der documenta keinen Raum für Antisemitismus geben wird. Ich hatte gesagt, dass wir umgehend eingreifen, wenn im Rahmen der komplexen Struktur mit so vielen Beteiligten doch antisemitische Inhalte entdeckt würden. Das habe ich nun getan, um weiteren Schaden von der laufenden documenta fifteen und allen kommenden documenta Ausstellungen abzuwenden.

Sofort nach Bekanntwerden der antisemitischen Figurenmotive auf dem Banner People’s Justice (2002) habe ich am Montag ruangrupa und Taring Padi die Grenzüberschreitung aufgezeigt, die in dieser verletzenden Darstellung liegt. Als Sofortmaßnahme wurde das Wandbild zunächst verdeckt und in Abstimmung mit dem documenta Aufsichtsrat am nächsten Tag abgebaut.

Ich stehe nach wie vor dafür, dass unsere freiheitlich demokratische Gesellschaft der Kunst den notwendigen Freiraum gibt. Aber dies kann und darf nicht antisemitische Darstellungen rechtfertigen. Daher habe ich umgehend weitere Maßnahmen eingeleitet. Die Verantwortlichen werden binnen kurzer Frist Stellung nehmen müssen, wie es zu der mangelhaften Kontrolle des Banners und dem Verstoß gegen die getroffene Vereinbarung kommen konnte.

Aufgrund der möglichen Versäumnisse der Verantwortlichen lassen wir nun die auf 30.000 m² an 32 Standorten ausgedehnte Ausstellung auf weitere kritische Werke hin begutachten. Es ist möglich, dass dafür einzelne Ausstellungsteile kurzzeitig geschlossen werden. ruangrupa habe ich aufgefordert, ihre kuratorische Aufgabe und die Rolle als künstlerische Leitung in diesem Prozess wahrzunehmen. Unterstützt werden sie von anerkannten Expert*innen wie Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt, und mit ausgewiesener rechtlicher Expertise. Eindeutig antisemitische Darstellungen werden deinstalliert, bei strittigen Positionen eine angemessene Debatte geführt. Außerdem behalten wir uns das Recht vor, einzelne Künstler*innen auszuladen. Dabei wird auch beachtet, dass sich die Ausstellung nach dem Konzept von ruangrupa ständig weiterentwickelt.

Schließlich werden wir den angekündigten Dialog nächste Woche, am Mittwoch, 29. Juni 2022, um 18.30 Uhr in der UK 14 mit einem gemeinsam mit der Bildungsstätte Anne Frank ausgerichteten Podiumsgespräch aufnehmen. Dies soll auch der Auftakt sein zu weiteren Gesprächen. Darüber hinaus wird die Bildungsstätte Anne Frank in Zusammenarbeit mit weiteren zivilgesellschaftlichen Akteuren einen Begegnungs- und Informationsstand auf dem Friedrichsplatz etablieren, an dem Besucher*innen, aber auch Künstler*innen in einen Dialog zu Fragen des Antisemitismus und Rassismus kommen können.

Von Anfang an ist für die documenta als internationale Kunstausstellung die absolute Freiheit der künstlerischen Leitung und Kurator*innen konstitutiv. Die Aufgaben der Geschäftsführung liegen in der Organisation der Ausstellung. Ich bin nicht für das künstlerische Programm zuständig, sondern dafür, dem künstlerischen Team den technischen Freiraum für die Umsetzung zu geben. Die Auswahl von Künstler*innenpositionen, Projekten und Arbeiten zählt dabei zu den Kernaufgaben der Künstlerischen Leitung, auf die alle Kuratorinnen und Kuratoren der vergangenen documenta Ausstellungen bestanden haben und immer bestehen werden. Es ist nicht die Zuständigkeit der Geschäftsführung, die Werke vorab in Augenschein zu nehmen und freizugeben. Das würde der Kunstfreiheit der documenta ebenso widersprechen wie die Freigabe durch ein Expert*innengremium.

Die Entscheidung für das indonesische Künstler*innenkollektiv ruangrupa ist von einer international und national besetzten Findungskommission getroffen worden. Die Nominierung wurde als große Chance wahrgenommen, in einen Dialog mit dem Globalen Süden einzutreten. ruangrupa sind mit einem völlig neuartigen kuratorischen Konzept angetreten. Sie haben einen ergebnisoffenen Prozess gestartet, der eine weltweite Netzwerkbildung aus Künstler*innen und Kollektiven vorsieht. Dieses Netzwerk ist mittlerweile auf mehr als 1.500 Personen angewachsen. ruangrupa begreifen sich nicht als klassische Kurator*innen, die die alleinige Verantwortung für die Auswahl der Arbeiten oder deren Verortung im Raum tragen. Auch sie sind Teil des weltumspannenden Netzwerkes, deren leitende Motive Nachhaltigkeit, Solidarität, Ressourcenteilung, Teilhabe und Gemeinwohlorientierung sind. Dies hat eine zum Nachdenken anregende, fröhliche und einladende documenta fifteen hervorgebracht, „ein Bild einer Welt, die aus vielen Welten, besteht, ohne Hierarchie oder Universalismus“, wie die internationale Findungskommission schreibt.

Die Kehrseite dieses offenen Prozesses ist, dass die unterschiedlichen kulturellen Erfahrungsräume aller Beteiligten in Kombination mit der kollektiven Entscheidungsfindung sowie der corona-bedingten, rein digitalen Vorbereitung auch zu Missverständnissen und Fehlentwicklungen geführt haben, die ruangrupa im laufenden Prozess nicht komplett steuerte und damit auch nicht auflöste. Die Künstler*innen und ihre Werke trafen erst sehr spät in Kassel ein. All dies hat leider zur öffentlichen Präsentation der Arbeit People’s Justice von Taring Padi geführt, die eine nicht zu tolerierende antisemitische Bildsprache aufweist. Davon haben sich auch die gGmbH und ich mich persönlich ausdrücklich distanziert.

Das betreffende Banner gehörte zu einer Fülle von Arbeiten von Taring Padi, die verspätet per Schiffscontainer in Kassel eintrafen. Erst beim Aufhängen wurde bemerkt, dass das zwanzig Jahre alte Banner, welches aus vier Einzelteilen besteht, so beschädigt war, dass es von einer externen Firma für die Befestigung verstärkt werden musste. Aus diesem Grund wurde die Arbeit nicht bis zum Mittwoch, sondern erst am Freitagnachmittag aufgehängt. Weil es ein sehr detailreiches Bild ist, sind die antisemitischen Figuren erst nach Ende des eng getakteten Eröffnungswochenendes aufgefallen.

Es ist nicht angezeigt, die gesamte Ausstellung mit ihren tausenden von Werken und Projekten unter Generalverdacht zu stellen: Die documenta fifteen liefert Denkanstöße und setzt Impulse für Solidarität und Gemeinschaft, was vom Publikum positiv wahrgenommen wird. Dies sollte bei aller Kritik weiterhin entsprechend gewürdigt werden.

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