18.6.2020

documenta fifteen und lumbung-Praxis

Zeichung eines lumbung, einer gemeinschaftlich genutzten Reisscheune, in der die überschüssige Ernte zum Wohle der Gemeinschaft gelagert wird. Die Zeichnung ist skizzenhaft, in der Mitte die Reisscheune aus Bambus, darunter schwarze Figuren die Menschen darstellen. Um die Zeichnung herum handschriftlicher Text zur Erklärung des Lumbungs.
lumbung Zeichnung, Iswanto Hartono, 2020

lumbung ist das indonesische Wort für eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune, in der die überschüssige Ernte zum Wohle der Gemeinschaft gelagert wird. ruangrupa hat der documenta fifteen die Werte und Ideen von lumbung zugrunde gelegt. lumbung als Konzept ist der Ausgangspunkt für die documenta fifteen: Iumbung wird die konkrete Praxis auf dem Weg zur documenta fifteen im Jahr 2022 und danach sein. Nun möchte ruangrupa einen tieferen Einblick geben, was sie unter lumbung verstehen und wie es in ihrer kuratorischen Praxis umgesetzt wird. Im Sinne von lumbung hat ruangrupa die ersten lumbung member und das Artistic Team eingeladen, sich individuell vorzustellen, indem sie Geschichten über ihre jeweiligen Arbeitsweisen und ihre Verbindung zum Gesamtprojekt teilen.

ruangrupa über ihr lumbung-Konzept für die documenta fifteen

Die lumbung-Architektur für die Lagerung von kollektiv verwalteten Lebensmitteln dient dem langfristigen Wohl der Gemeinschaft durch gemeinsame Nutzung von Ressourcen und gegenseitige Fürsorge. lumbung baut auf bestimmten gemeinsamen Werten, kollektiven Ritualen und Organisationsprinzipien auf. ruangrupa führt diese Tradition des Teilens fort und überträgt sie auf die eigene Praxis.

lumbung ist für uns nicht lediglich ein „Thema“, welches wir für die documenta fifteen ausgewählt haben. Es ist vielmehr tief in unsere tägliche Praxis eingeschrieben und fasst unsere bisherigen Methoden und Wertvorstellungen zusammen. Als Kollektiv teilen wir Ressourcen, Zeit, Energie, Finanzmittel, Ideen und Wissen unter uns und mit anderen. Wir haben das lumbung-Konzept erstmals vor fünf Jahren aufgegriffen, als wir mit Serrum and Grafis Huru Hara ein Kollektiv der Kollektive gebildet haben, eine Initiative, die durch kontinuierliches Ausprobieren zuletzt in Gudskul mündete, unseren kollektiv betriebenen Raum mit der dazugehörigen Schule im Süden Jakartas.

Werte

lumbung als künstlerisches und ökonomisches Modell wird mit den zugrundeliegenden Werten wie Kollektivität, Großzügigkeit, Humor, Vertrauen, Unabhängigkeit, Neugier, Ausdauer, Regeneration, Transparenz, Genügsamkeit und Konnektivität an unterschiedlichen Schauplätzen praktiziert und erhält dadurch eine globale Dimension.

Für die documenta fifteen bringt das Artistic Team Kollektive, Organisationen und Institutionen aus der ganzen Welt zusammen, um gemeinsam lumbung zu praktizieren. Jeder der lumbung member wird einen Beitrag leisten und verschiedene Ressourcen wie Zeit, Raum, Geld, Wissen, Fürsorge und Kunst teilen und erhalten. Wir haben ein ausgeprägtes Interesse daran, von anderen Konzepten und Modellen zu Erneuerung, Bildung und Ökonomie – anderen lumbung-Praktiken in verschiedenen Teilen der Welt – zu lernen und mit ihnen zu arbeiten.

lumbung im Hinblick auf die aktuelle Situation

Im Angesicht der problematischen Situation der Pandemie der letzten Monate haben wir unseren kollektiven Raum Gudskul in eine Minifabrik für die Herstellung der so dringend benötigten Atemschutzmasken und Schutzanzüge verwandelt, die direkt an das medizinische Personal in Krankenhäuser und Kliniken auf den verschiedenen indonesischen Inseln verteilt werden. Wir haben uns überdies mit unterschiedlichen lokalen Initiativen zusammengeschlossen und Spenden beschafft.

Unsere kollektive Erfahrung in der Reaktion auf COVID-19 hat uns dazu bewogen, nochmals über die Bedeutung von Solidarität nachzudenken. Als Kollektiv sind wir uns der gestiegenen Notwendigkeit neuer Formen der Vernetzung bewusst, um kleine bis mittelgroße Kunstinitiativen nachhaltig zu stärken. Entsprechend überdenken wir auch erneut, was künstlerische Praxis und Eventorganisation ausmacht – und was sie sein könnten und sollten.

Wenn das Agieren in einem großen Maßstab mit sich bringt, dass Relevanz in Bezug auf unsere eigene Praxis verlorengeht, sollten wir uns dann verkleinern? Was bedeutet es heutzutage, lokal und global verwurzelt zu sein und welches Potenzial eröffnet Lokalität gegenwärtig? Welche Bedeutung hat Materialität in der Gegenwartskunst heute für die Kunst und Künstler*innen? Wie sollten wir Raum nutzen, um unsere Beziehung mit der Öffentlichkeit neu zu definieren? Bei der Betrachtung regenerativer Ökonomien sollten wir parallel zu den bewährten Praktiken neue Strategien erkunden und entwickeln.

Als ruangrupa die Idee von lumbung als kollektiv zu verteilende Ressourcen aufbrachte, führte dies zu dem künstlerischen Spekulieren, wie eine solche gemeinsame Struktur im Laufe der Zeit aufgebaut werden könnte. Angesichts der aktuellen Entwicklungen zeigt sich das Konzept von lumbung mit seinen Werten von Solidarität und Kollektivität nun von größerer Bedeutung und Relevanz denn je. In Momenten, in denen so viele Menschen die Ungleichheit und Ungerechtigkeit der herrschenden Systeme zu spüren bekommen, kann lumbung (neben vielen anderen Denkansätzen) zeigen, dass die Dinge auch anders gelöst werden können. Insofern werden wir lumbung nicht aufschieben, sondern es verstärkt vorantreiben.

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