Trotz teils heftiger Kontroversen im Vorfeld eröffnete die documenta fifteen mit einer Woche voller Freude, Hoffnung und Austausch und einer einzigartigen Atmosphäre in der ganzen Stadt Kassel. Unser Dank gilt dem gesamten Team der documenta, der lumbung-Community und allen, die uns seit vergangener Woche besucht und damit zum Gelingen unserer kollektiven Arbeiten und des kollektiven Prozesses beigetragen haben. Wir danken auch den zahlreichen Menschen, die uns willkommen geheißen haben und der documenta fifteen mit offenen Augen und Herzen begegnet sind. Dies gilt insbesondere für all die wunderbaren Menschen, die diese Ausstellung in unterschiedlichen Funktionen möglich machen, von den Ticketverkäufer*innen bis zu den Aufsichten.
Umso größer ist unser Bedauern darüber, dass all dieses Engagement und die großartigen Kunstwerke nun durch die Ereignisse um Taring Padis Arbeit People’s Justice (2002), die sich seit Montag, 20. Juni 2022 entwickelten, überschattet sind. Die Arbeit wurde infolgedessen verdeckt und einen Tag später auf Anraten des Aufsichtsrats, in Absprache mit der Geschäftsführung der documenta, abgenommen. Tatsache ist, dass wir es versäumt haben, die Darstellung, die klassische antisemitische Stereotype transportiert, in der Arbeit zu erkennen. Das war unser Fehler. Im Austausch mit Taring Padi unterstützen wir die Entscheidung, die Arbeit abzunehmen, auch in Anbetracht der Prinzipien und Werte Taring Padis: stets in engem Austausch mit Bürger*innen und mit Respekt für ethnische und religiöse Unterschiede zu arbeiten.
Wir entschuldigen uns für die Enttäuschung, Scham, Frustration und das Entsetzen, die diese Stereotype bei den Besucher*innen und dem gesamten Team, das hart daran gearbeitet hat, die documenta fifteen Wirklichkeit werden zu lassen, auslösten. Wir entschuldigen uns auch für den Schmerz und die Angst bei allen, die die Arbeit vor Ort oder in den Medien gesehen haben, und bei all jenen, die uns in den vergangenen Monaten in den Medien und bei der documenta gegen ungerechtfertigte Vorwürfe und Anschuldigungen verteidigt haben.
Die Bildsprache knüpft, wie wir jetzt in Gänze verstehen, nahtlos an die schrecklichste Episode der deutschen Geschichte an, in der jüdische Menschen in einem noch nie dagewesenen Ausmaß verfolgt und ermordet wurden. Es ist ein Schock, nicht nur, aber insbesondere für die jüdische Gemeinde in Kassel und in ganz Deutschland, die wir als unsere Verbündeten betrachten und die immer noch unter dem Trauma der Vergangenheit und mit anhaltender Diskriminierung, Vorurteilen und Ausgrenzung leben. Es ist auch ein Schock für unsere Freund*innen, Nachbar*innen und Kolleg*innen, für die der Kampf gegen alle Formen von Unterdrückung und Rassismus ein existenzielles Element ihrer politischen, sozialen und künstlerischen Vision ist.
Wir nutzen den Anlass, um uns über die grausame Geschichte des Antisemitismus weiterzubilden und sind schockiert, dass diese Darstellung in das betreffende Werk Eingang gefunden hat. Dieses kollektiv geschaffene Banner verweist auf die rechtlich und gesellschaftlich unaufgearbeitete dunkle Geschichte Indonesiens seit 1965 während der Ära der „Neuen Ordnung“ (Orde Baru).
Wir möchten diesen Moment dazu nutzen, unsere Hoffnung auszudrücken, dass all die in die documenta fifteen investierte Arbeit nicht umsonst war, genauso wenig wie die Arbeit aller, die uns unterstützt und mit uns zusammengearbeitet haben. Die documenta fifteen ist so viel mehr.
Wir sind sehr dankbar für die konstruktive Kritik und Solidarität, die wir von vielen Menschen in Kassel, in Deutschland, von Institutionen und Partner*innen erfahren haben. Wir möchten aber gleichzeitig darauf hinweisen, dass viele der Angriffe gegen uns nicht in ehrlicher Absicht erfolgt sind. Wir haben den Eindruck, dass viele der Vorwürfe gegen uns erhoben wurden, ohne dass zuvor der Versuch unternommen wurde, in einen offenen Austausch und in einen Prozess des voneinander Lernens einzutreten.
Wir sind hier um zu bleiben und entschlossen, die Ausstellung trotz der Schwierigkeiten fortzusetzen. Wir stehen für offene, ehrliche Gespräche und kollektives Lernen bereit. Wir tun dies als Menschen mit Fehlern, Unzulänglichkeiten, Stärke und Courage und möchten alle, die bereit sind, uns auf Augenhöhe begegnen, zu einem kritischen und fruchtbaren Dialog einladen.
Wir möchten das Gespräch mit allen fortsetzen, die uns unterstützt und an uns geglaubt haben. Wir möchten auch mit der Öffentlichkeit, den Besucher*innen und lokalen Graswurzelbewegungen, denen unsere Arbeit etwas bedeutet, im Austausch bleiben.