18.8.2022

BeeCoin, Cheesecoin, Dayra und Jalar: lumbung Currency Gemeinschafts­währungen der documenta fifteen

Eine Skizze mit Zeichnungen und Notizen zum Thema Kryptowährung, wie Beispielsweise eine gezeichnete Münze auf der
documenta fifteen: lumbung Coin, Harvest von Abdul Dube, 2021

Das Experimentieren mit Wirtschaftsmodellen steht mit im Zentrum der documenta fifteen. Dazu wurden zahlreiche Working Groups ins Leben gerufen, die konkrete Praktiken zum Aufbau kollektiver Kunstökonomien entwickeln – basierend auf den lumbung-Werten wie lokale Verankerung, Humor, Großzügigkeit, Unabhängigkeit, Transparenz, Genügsamkeit und Regeneration.

Ihr Ziel ist es, eine Lebensweise neu zu definieren, die vom Wohlergehen der Gemeinschaft und ihrer langfristigen Nachhaltigkeit ausgeht. Im Sinne des nachhaltigen lumbung-Prozesses zielen die Bestrebungen auf den Aufbau eines nachhaltigen lumbung – eines Speichers kollektiver Ressourcen – um das Überleben von Künstler*innen-Kollektiven auf der ganzen Welt zu sichern.

Um zu diskutieren, wie solch eine langfristig angelegte lumbung-Wirtschaft aussehen könnte, treffen sich die 14 lumbung member und das Künstlerische Team seit Oktober 2020 regelmäßig in der Working Group lumbung Economy. Hieraus gingen weitere Working Groups hervor: lumbung Kios, lumbung Gallery, lumbung Land und lumbung Currency.

Diese Working Groups bieten konkrete Mechanismen zur Bereitstellung von Ressourcen für den langfristigen Aufbau einer kollektiven Reisscheune. Im Sinne des „Transvestment” werden Mittel horizontal umverteilt, um von der klassischen Ausstellungsökonomie zu einer gemeinwohlorientierten lumbung-Wirtschaft zu gelangen.

lumbung Currency Working Group

Die Working Group lumbung Currency zielt auf die Stärkung und Verbindung der Gemeinschaftswährungen, welche vier der lumbung member entwickelt haben: BeeCoin von lumbung member ZK/U – Zentrum für Kunst und Urbanistik, Cheesecoin von INLAND, Dayra von The Question of Funding und Jalar von Gudskul.

Diese Währungen ermöglichen die Entwicklung eigener Tauschsysteme. Dabei entscheidet die Gemeinschaft über den Wert der Waren. Der Tausch derselbigen basiert auf konkreten Bedürfnissen statt auf abstrakten Werten. In den Jahren vor der documenta fifteen wurden dazu mehrere Workshops mit Akteur*innen organisiert, die bereits erfolgreich Gemeinschaftswährungen entwickelt haben, etwa Grassroots Economics in Kenia sowie mit Paul Seidler und Steph Holl-Trieu, die die Digitale Autonome Organisation (DAO) für den BeeCoin der lumbung member (ZK/U – Zentrum für Kunst und Urbanistik) mitentwickelt haben.

Aus diesen Arbeitstreffen gingen die nun existierenden Währungen der lumbung member hervor, deren Entwicklungsprozesse teilweise in der Ausstellung nachvollzogen werden können. Nach dem Ende der Ausstellungslaufzeit der documenta fifteen sollen die zu diesem Zeitpunkt hoffentlich bereits stärker florierenden Währungen miteinander zusammengeführt werden. So wird ein Tauschsystem zwischen lokalen Communities außerhalb der Bürokratie bestehender Bankensysteme ermöglicht.

Die Gemeinschaftswährungen der lumbung member

BeeCoin (ZK/U – Zentrum für Kunst und Urbanistik)

BeeDAO ist eine Organisation menschlicher und nichtmenschlicher Akteur*innen, die speziesübergreifende Demokratie, das Teilen von Wohlstand und die Produktion von Wissen ermöglicht – mit dem Ziel, das Wohlergehen von Bienen auf der ganzen Welt zu sichern und zu verbessern. Auf Grundlage von Web3-Technologien und Sensoren, die überlebensrelevante Daten von mehr als 15 Bienenstöcken in Kassel aufzeichnen, trifft die Organisation bei regelmäßigen Treffen gemeinsame Entscheidungen.

Als dezentralisierte autonome Organisation (DAO) zeigt BeeDAO prototypisch das Potential einer auf gemeinsame Ziele ausgerichteten Zusammenarbeit menschlicher und nicht-menschlicher Akteur*innen. Bienen und Menschen können BeeDAO beitreten, indem sie Daten zur Verfügung stellen oder eine Mitgliedschaft in Form eines NFT erwerben. Sie können dann Delegierte nominieren, die ihre Interessen vertreten, Vorschläge zur Verbesserung von Bienenleben einbringen und bei der Weiterentwicklung der Organisation, ihrer Charta, ihrer Rituale und dem speziesübergreifenden Teilen von Wohlstand mitwirken. Gemeinsame öffentliche Treffen finden während der documenta fifteen regelmäßig im ruruHaus statt. Hier gelangen Sie über das Menü zum Kalender.

Cheesecoin (INLAND)

Die Cheesecoin wurde ursprünglich als fiktive Währung zur Finanzierung einer Kampagne gegen eine Fernsehproduktionsfirma ins Leben gerufen. Diese kopierte den Namen eines Projekts des lumbung member INLAND für eine Reality-TV-Sendung und drang 2017 in die Räume des Kollektivs ein. Die Währung wurde daraufhin gemeinsam mit der Künstlerin Hito Steyerl entwickelt.

Basierend auf der jährlichen Menge selbst produzierten Käses gibt INLAND eine bestimmte Anzahl von Cheesecoins heraus. Daraus entsteht zunächst eine experimentelle Ökonomie, die sich im Übergang von einer rein spekulativen zu einer realen Wirtschaft befindet. Die Cheesecoin ist damit Teil einer nonlinearen Wirtschaft, die parallel zur kapitalistischen Marktwirtschaft laufenden Nachbarschaftsökonomien nachempfunden ist. Sie ist eng mit einer konventionellen Marktwirtschaft für kollektiv produzierte Waren wie Käse verbunden, nimmt aber auch Anleihen an der Organisationsweise traditioneller Schenkökonomien.

Dayra (The Question of Funding)

Das von lumbung member The Question of Funding entwickelte Wirtschaftsmodell Dayra nutzt Blockchain-Technologie für die Zirkulation gemeinsamen wirtschaftlichen Werts. Das Modell geht von der Prämisse aus, dass Einzelpersonen, aber auch lokale Betriebe und Organisationen, die keine finanziellen Mittel haben, trotzdem über Ressourcen (materiell, physisch oder geistig) sowie über Wissen verfügen.

Die Währung ermöglicht somit die Schaffung von Wert für das Gemeinwohl durch den Tausch und die Nutzung dieser non-monetären Ressourcen. Daraus erklärt sich auch der Name Dayra, der auf Arabisch so viel wie „Kreis” oder „Kreislauf” bedeutet. Auf diese Weise umgeht Dayra nicht nur oft restriktive traditionelle Fördermodelle, sondern garantiert eine widerstandsfähige zusätzliche Ökonomie, auf die von Krisen betroffene Gemeinschaften zurückgreifen können. Dieses Video erklärt die Funktionsweise der Währung Dayra anhand eines Beispiels.

Jalar (Gudskul)

Die Mitglieder der Plattform Temujalar.art verdienen und sammeln digitale Punkte, die Jalar genannt werden, für ihre kollektive Jalar-Geldbörse. Sie generieren Jalar, indem sie mit Ressourcen oder Aktivitäten zur Plattform beitragen. Die Mitglieder können diese digitalen Währungspunkte ausgeben, um an Workshops und virtuellen Veranstaltungen teilzunehmen oder um einen kollektiven Raum zu schaffen. Ähnlich wie beim lumbung Pot (finanzielles Modell im Rahmen der Praxis von lumbung während der documenta fifteen) handelt es sich auch beim Jalar Collective Wallet um einen von Kollektiven verwalteten gemeinsamen Topf.

Als die Covid-19-Pandemie Anfang 2020 begann, gründete Gudskul Temujalar.art als Online-Plattform für Kollektive und ihre Ekosisteme. Sie basiert auf der Annahme, dass Online-Plattformen den Austausch von Wissen über Zeitzonen und geografischen Grenzen hinaus ermöglichen. Auf Indonesisch bedeutet Temu „treffen” und Jalar „ausbreiten”. Temujalar.art richtet sich an Künstler*innen, Kollektive, Kurator*innen, Autor*innen, Musiker*innen, Forschende, Lehrende und Kreative. Ihnen will die Plattform beim Lernen, dem Sammeln von Erfahrungen und dem Austausch von Wissen helfen.

Indem die Working Group lumbung Currency mit diesen nachhaltigen Wirtschaftsmodellen experimentiert, ist sie Teil einer Praxis, die über die 100 Tage der documenta fifteen hinaus weiter bestehen und wirksam sein soll.

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